Der adelige Antiimperialist Sir Walter Strickland - 21. Mai 2022

Die am schwierigsten zu fassende Persönlichkeit, die mit dem Zürcher Komitee “Pro India” in Verbindung gebracht wird, ist der britische Baronet Sir Walter Strickland (1851-1938). Wir haben keine Hinweise darauf gefunden, dass er jemals die Gruppe in Zürich getroffen hätte. Hingegen gibt es klare Indizien für einen Kontakt zwischen ihm und Shyamji Krishnavarma (1857-1930) während dessen Pariser Zeit sowie mit Chempakaraman Pillai (1891-1934).

Die Informationen, die über Strickland zu finden sind, stammen fast ausschliesslich von Guy A. Aldred (1886-1963), dem evangelikalen Prediger, der zum Kommunisten und später zum anarchistischen Journalisten geworden war und in seinen verschiedenen Verlagen revolutionäre Zeitungen wie auch faschistische Pamphlete veröffentlichte. Strickland setzte kurz vor seinem Tod – er starb 1938 in niederländisch Indien – Aldred als Nachlassverwalter ein, worauf dieser in Glasgow den Verlag Strickland Press gründete.

Verwischte Spuren

Einige Hinweise auf Strickland finden sich ferner in der Autobiografie des britischen Anarcho-Kommunisten Albert Meltzer, im dritten Kapitel, in welchem er unter anderem über Guy Aldred schreibt. Diese Angaben sind mit Vorsicht zu verwenden, sie stellen bisweilen Halbwahrheiten und Interpretationen als Tatsachen hin.

Es beginnt damit, dass Meltzer schreibt, die Familie von Sir Walter “practically owned Malta”. Das trifft allenfalls für einen Zweig der Familie Strickland zu, welcher mit demjenigen von Sir Walter auf einen gemeinsamen Vorfahren zu Beginn des 16. Jahrhunderts zurückgeht. Sehr entfernte Verwandte also.

Weiter schreibt Meltzer, Strickland “was disgusted with the British Government after the Versailles Treaty”. Seine Abscheu gegen den englischen Imperialismus war freilich schon zu Beginn des Ersten Weltkriegs ausgeprägt und findet sich beispielsweise in seiner Schrift British justice and honesty: adressed to the people of England and India” die 1913 angeblich in Milano erschien.

Die Strickland Press

Nach Darstellung Meltzers habe Strickland in seinem hinterlassenen Testament “a fortune for Aldred” vermacht, worauf dieser sofort die Strickland Press gegründet und Druckmaschinen gekauft habe. Stricklands Verwandte hätten aber das Testament angefochten und das Geld sei schliesslich bei den Rechtsanwälten hängen geblieben. Ein Gerichtsfall lässt sich in der Presse nicht nachweisen, hingegen wird über Stricklands Testament ausführlich berichtet.

Gemäss übereinstimmenden Presseberichten vom August 1939 setzte Strickland den Glasgower Journalisten Guy Aldred als Bevollmächtigten ein mit dem Auftrag, weiterhin Stricklands Schriften, die bereits publizierten wie auch die noch in Java oder Belgien eingelagerten, herauszugeben und zu drucken. Dieser setzte den Auftrag eifrig um, was ihn aber nicht davon abhielt, während des Zweiten Weltkriegs auch die Schriften von Hastings William Sackville Russell, Herzog von Bedford, zu publizieren. Russell hatte sich von einer kommunistischen Jugend inzwischen zum Bewunderer und Anhänger von Oswald Mosley, dem Oberhaupt der britischen Faschisten, entwickelt.

Verbindungen zu “Pro India”

Strickland könnte aus zwei Gründen als Mitglied des Zürcher Komitees “Pro India” genannt worden sein. Einerseits kommt er als Geldgeber für die Publikationen in Frage. Immerhin ist überliefert, dass er Guy Aldred noch vor dem Ersten Weltkrieg finanziell unter die Arme griff, als ein britisches Gericht diesen für ein Jahr hinter Gitter brachte, weil er Krishnavarmas “aufrührerische” Zeitschrift The Indian Sociologist gedruckt hatte.

Zum anderen galt Strickland als “Pate” des jungen Chempakaraman Pillai. Strickland soll den damals 17jährigen aus seiner Heimatstadt Trivandrum im heutigen indischen Bundesstaat Kerala nach Europa gebracht und ihm das Studium an der Eidgenössischen Technischen Hochschule ETH in Zürich finanziert haben.

Unruhiger Geist

Strickland äusserte sich schon vor dem Ersten Weltkrieg sehr kritisch über den britischen Imperialismus und verfasste anklagende Schriften. Zeit seines Lebens war er schreibend und publizierend unterwegs, als Autor von Naturbetrachtungen und satirischen Theaterstücken, von literarischen Essays, politischen Pamphleten und polemischen Betrachtungen über die Menschheitsgeschichte. Er übersetzte Gedichte und Theaterstücke von tschechischen Autoren und hinterliess bei seinem Tod noch kistenweise unpubliziertes Material.

Es wird überliefert, dass er England schon in den 1890er Jahren verlassen habe, nachdem ihm sein Vater seinen Lebenswandel und sein Unwille, Nachkommen zu zeugen, vorgeworfen hätte. Er habe darauf der ersten Frau, der er begegnet sei, einen Heiratsantrag gemacht. Sie blieb offenbar in England, während er verreiste und nur noch ein einziges Mal zurückkehrte, Ende Dezember 1909, um Abschied von seinem sterbenden Vater zu nehmen und das Erbe samt Adelstitel anzutreten. Im Jahr 1923 habe er, da mit Staatsgründer Thomas Masaryk befreundet, die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft angenommen, jedoch nie dort gelebt. Dies alles basiert jedoch eher auf Gerüchten und möglicherweise auch auf einer absichtlich irreführenden Selbstdarstellung, es lässt sich nur schwer nachweisen.

Quellen

  • Evening Chronicle, Newcastle-upon-Tyne, 11 Aug 1939;
  • Daily Mail, Hull, 11 Aug 1939
  • Strickland, W. W. (1913). British Justice and honesty: Addressed to the people of England and India. Milano.

Literatur

  • Meltzer, Albert (1996). I Couldn’t Paint Golden Angels: Sixty Years of Commonplace Life and Anarchist Agitation. Edinburgh: AK Press


  • Ker, James Campbell (1917, 2015(2)). Political trouble in India, 1907-1917.