Der Schlachtenbeschreiber Karl Bleibtreu - 16. August 2021

Das Komitee «Pro India» existiert als Sammelbewegung der indischen Nationalisten in Zürich etwa vom Sommer 1912 bis zum Kriegsausbruch im Spätsommer 1914. Die merkwürdigste Persönlichkeit in diesem Komitee ist der deutsche Schriftsteller Karl Bleibtreu. 1859 in Berlin geboren, lebt er seit 1908 mit seiner Schweizer Gattin in Zürich.

Karl Bleibtreu ist ein ausserordentlich produktiver Autor, seine Bibliografie umfasst nicht weniger als 150 selbständige Werke und mehrere Hundert Zeitungs- und Zeitschriftenartikel. Zwei Themen umkreist er immer wieder in seinen Texten: die grossen Schlachten der Weltgeschichte und die grossen Männer, seien sie Feldherren, Staatsmänner oder Dichter. Zu den letzteren zählt er in seiner «masslosen Ichbezogenheit und Geltungssucht» (Oliver Pfohlmann) auch sich selbst.

Schreiben für Ulrich Wille

Bleibtreu hat von seinem Vater, dem Schlachtenmaler Georg Bleibtreu, die Faszination für militärische Grosstaten geerbt. Seit seiner Übersiedlung aus seiner Geburtsstadt Berlin in die Schweiz publiziert er regelmässig und oft in der Allgemeinen schweizerischen Militärzeitung. Deren verantwortlicher Redaktor ist Oberst Ulrich Wille, der nach Ausbruch des Krieges am 3.August 1914 von der Bundesversammlung zum Oberbefehlshaber der Schweizer Armee gewählt wird. 1913 schreibt Bleibtreu ausserdem für die in Zürich erscheinende Zeitschrift Kinema, bis deren Redaktor Eugen Lennhoff, mit dem er regelmässig Kaffee trinkt, seinen Hut nimmt. Lennhoff wird später als Kriegsberichterstatter für den Bund und die Frankfurter Zeitung von der österreichisch-ungarischen Front berichten.


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Karl Bleibttreu. Quelle: Karl Biesendahl, Karl Bleibtreu. Leipzig, 1891

Bleibtreu wird von einer einzigen Quelle zu den Mitgliedern des Komitees «Pro India» gezählt: James Campbell Ker, der Mitarbeiter der anglo-indischen Polizei, nennt ihn in seiner Zusammenstellung von 1917 neben Chempakaram Pillai, Erwin Briess, dem in Genf lebenden Inder Shyamji Krishnavarma sowie dem britischen Anti-Imperialisten Sir Walter Strickland als fünftes Mitglied. Die Information stammt fast sicher von Briess, der – angeblich ab Sommer 1913, vermutlich aber schon früher – als Informant für die anglo-indische Polizei tätig ist.

Illustre Gesellen

Sein Stern als Autor ist bereits am Sinken, als Bleibtreu 1908 in die Schweiz zieht. Trotzdem, ganz unbekannt ist und bleibt er auch in Zürich nicht. Abgesehen von seiner Tätigkeit für die Allgemeine schweizerische Militärzeitung verkehrt er in literarischen Kreisen, die sich regelmässig in einem «neben dem Odeon gelegenen kleinen Kaffee» treffen. Dies berichtet der aus Genf ausgewiesene deutsche Universitätsdozent Felix Falk an den deutschen Gesandten Romberg in Bern. An der gleichen Tafelrunde verkehrten jeweils der mit Bleibtreu befreundet scheinende Briess sowie der bereits erwähnte Journalist Eugen Lennhoff. Auch Pillai dürfte des Öfteren in dieser Runde anzutreffen sein.

In diesen Bekanntschaften – und in seinem dokumentierten Interesse für die Theosophie – liegt vermutlich Bleibtreus Antrieb, seinen Namen für das Komitee «Pro India» herzugeben. In den Schriften des Komitees findet sein Name keinen Niederschlag.

Als Schriftsteller mit Interesse für militärisch-strategische Themen findet Bleibtreu einen anderen, unerwarteten Leser: In einer Ausstellung in der Schweizer Nationalbibliothek im Sommer 2017 stellte die Bibliothek vor, «was Lenin las» (so der Titel der Ausstellung). Darunter befindet sich das Buch «Vor 50 Jahren – Das Volksheer im Amerikanischen Bürgerkrieg», das Bleibtreu 1912 im Basler Schwabe-Verlag veröffentlichte.


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Quelle: https://www.nationalbibliothek.ch/de/archiv/was-lenin-las-51.html

Umzug nach Locarno

Nach dem Ende des Weltkriegs zog Bleibtreu nach Locarno um. Ob er dort die Nähe zur heterogenen Gemeinschaft auf dem Monte Verità suchte, ist nicht festzustellen. Er starb 1928 und wurde im Friedhof von Muralto beerdigt. Ein Jahr nach seinem Tod wurde ihm vor der ehemaligen Wohnstätte ein Gedenkstein errichtet. Nochmals fünf Jahre später – in Berlin haben inzwischen die Nationalsozialisten die Macht erobert – werden seine Gebeine nach Berlin überführt und im Familiengrab beigesetzt.

Quellen

Literatur