Gelehrter, Journalist, Spion in Genf: Felix Falk - 28. Juli 2022

Felix Falk ist eine schillernde Figur mit einem tragischen Ende. Er war der Zuträger, welcher die deutsche Gesandtschaft in Bern mit Informationen über Erwin Briess versorgte. Seine Leidenschaft galt dem Zusammenwirken von jüdischer und deutscher Kultur, sein Brot verdiente er mit der journalistischen Bearbeitung aktueller Themen quer durch das ganze gesellschaftliche Spektrum.

In den 1910er Jahren lebte er als Privatdozent für Judaistik an der Universität und als Journalist in Genf, verkehrte aber offenbar öfters in Zürich. Er stand während des Ersten Weltkriegs dem deutschen Staatsapparat sehr nahe und trat auf teilweise illegale Art für die deutsche Sache ein. Dies konnten ihn nicht davor bewahren, dreissig Jahre später als Jude in Auschwitz von den Nazis ermordet zu werden.

Vom “Freund” zum “Spion”

Im September 1916 meldete Felix Falk der deutschen Gesandtschaft in Bern, er habe vor dem Krieg mit Erwin Briess, Eugen Lennhoff, Carl Bleibtreu und dem Inder Chempakaraman Pillai regelmässig in einem “neben dem Odeon gelegenen” kleinen Café in Zürich verkehrt. Falk lebte zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr in Genf, sondern in Zürich oder möglicherweise wieder in Bern. Dort hatte er ums Jahr 1904 studiert.

Er hatte Genf im April 1916 verlassen müssen. In der Rhonestadt war eine Affäre aufgeflogen: Die deutsche “Allgemeine Handelsgesellschaft” in Zürich hatte über Agenten in Genf illegal Lebensmittel aufkaufen und nach Deutschland abführen lassen. Einer dieser Agenten war Falk, der sofort aus dem Kanton Genf aufgewiesen wurde.

Falk wurde in der Folge von der Genfer und Lausanner Presse als “accapareur”, als Hamsterer und als deutschen Spion beschimpft. Der Genfer Kantonsparlamentarier und spätere Nationalrat Frédéric Jules de Rabours (der in der Obristen-Affäre eine wichtige Rolle spielen sollte) rühmte sich, Falk auf der Place Molard mitten in Genf in die Flucht geschlagen zu haben, indem er ihn lautstark mit “Salut, chef des espions boches de Genève!” begrüsst habe.

Wenige Jahre zuvor war er, der Korrespondent der Frankfurter Zeitung, noch respektvoll für seine Tätigkeit gelobt worden. 1913 wird er als Rechnungsführer der in Genf beheimateten Fédération suisse de la presse étrangère genannt, und im Folgejahr – kurz vor Beginn des Krieges – bezeichnet ihn das Journal de Genève gar als “ami de Genève”, weil er in sehr sympathischer Art in der Frankfurter Zeitung, in der Leipziger Illustrierten Zeitung sowie in der Zürcher Post über die Genfer Jahrhundertfeier berichtet habe.


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Quelle notrehistoire.ch

Eine jüdische Familie aus Preussen

Felix Falk kam am 16. November 1879 im preussischen Koschmin etwa 50 Kilometer südlich von Danzig, heute in Polen gelegen, zur Welt. Sein Vater war der Zigarrenfabrikant Adolf Falk (1851-1881), die Mutter Berta geborene Labsap (1850-1920). Felix scheint deren einziges Kind gewesen zu sein, die Mutter verstarb 1920 in Genf. Ein erstes Mal verheiratete er sich im Dezember 1906 mit Sofie Cahnmann (*1884) aus Karlsruhe. Die Ehe hat nicht lange gedauert. Bereits im Juli 1911 erscheint in der Tribune de Genève ein neues Hochzeits-Aufgebot mit Käthe Lisbeth Ollendorff (1880-1944), die aus Breslau stammte und zum besagten Zeitpunkt in Deutsch Wilmersdorf – heute ein Stadtteil von Berlin – lebte.

Ihre gemeinsame Tochter Nora Renate wurde am 25. Mai 1912 in Genf geboren. Ein Sohn folgte im September 1913, wie uns eine Anzeige im Berliner Tageblatt und Handelszeitung vom 26. September 1913 mitteilt.

Männer der Schrift mit Interesse am Film

Wie viele Gebildete seiner Generation versuchte sich der jugendliche Falk als Dichter. Zwei Gedichtbände aus seiner Feder sind überliefert: In Memoriam. Nachklänge erschien 1901 bei S. Philipp & Sohn, Berlin. Die Priesterin folgte 1904 im Verlag Hermann Seemann Nachfahren in Leipzig. Archivarisch festmachen lassen sich Studien in Berlin ab dem Wintersemester 1899/1900, in Jena (Wintersemester 1903/04) und in Bern im Sommersemester 1904. Wann und wo er promovierte, liess sich bisher nicht herausfinden.

Wenn Falk vor dem Krieg mit Lennhoff, Bleibtreu und Briess in der Kaffeerunde sass, waren Männer beisammen, die sich das Schreiben zum Beruf gemacht hatten. Die ganze Männerrunde interessierte sich auch für das neue Medium Film. Falk nahm Mitte Dezember 1912 in Genf an der Gründungsversammlung eines Vereins teil, dem vornehmlich Pastoren angehörten. Der Verein wolle sich einsetzen für den guten und gegen den schlechten Film – wobei sich letzterer, wir vermuten es bereits, durch Gewalt und Obszönität auszeichnet.

Das hauptsächliche Interesse Falks galt aber dem jüdischen Element in der deutschen Kultur. Als Privatdozent an der Uni Genf beschäftigte er sich ab dem Wintersemester 1908/09 in Vorlesungen mit der Bibelübersetzung ins Deutsche, mit Denkern wie Moses Meldessohn und Gotthold Ephraim Lessing oder mit der Religiosität von Goethe und Schiller. Sein ganzes Leben lang widmete er Zeit und intellektuelle Energie den biblischen Samuel-Büchern, deren deutsche Übersetzung von Mosche Esrim Wearba aus dem 15. Jahrhundert er in einer kommentierten Ausgabe neu aufzulegen plante. Er erhielt dafür 1911 eine finanzielle Unterstützung der Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums, nachdem er zwei Jahre zuvor erste bibliografische Notizen auf Französisch publiziert hatte. Als das Manuskript 1938 endlich druckreif war, wurde der mit der Veröffentlichung betraute jüdische Schocken-Verlag in Berlin von den Nazis geschlossen. Das Werk konnte erst posthum 1961 von Lajb Fuks beim Verlag Van Gorcum im niederländischen Assen herausgegeben werden.


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Im Dienste des Vaterlands

Als das deutsche Heer am 4. August 1914 die Grenzen zum neutralen Belgien überschritt und damit die Kampfhandlungen an der sogenannten Westfront auslöste, ging ein tiefer Riss durch die Schweiz. Die deutschsprachige Mehrheit fühlte sich grösstenteils auf Seiten der Angreifer, während der französischsprachige Teil eine tiefe Solidarität mit dem angegriffenen Belgien und mit Frankreich – dem der Angriff letztlich galt – hegte. Für Deutschland war es ungemein wertvoll, in der Person von Felix Falk in Genf einen deutschgesinnten Journalisten zu haben, der gleichzeitig in der Stadt gut zuhause war.

Falk wurde mit der Aufgabe betraut, in Genf eine französischsprachige, aber deutschfreundliche Zeitung zu redigieren. Wegen Behinderung durch die Genfer Behörden musste die Zeitung, die anfänglich unter dem Titel L’Indépendence helvétique erschien, mehrfach den Namen wechseln. Sie firmierte eine Zeit lang als Dépêche suisse, später als Le Nouvelliste. Der Nachrichtendienst der Schweizer Armee hielt einige Telegramme Falks an seine deutschen Auftraggeber zurück, weil sie als Kriegsspionage qualifiziert wurden.

An den weiteren Aufbau einer journalistischen und universitären Karriere war durch den Krieg nicht mehr zu denken. Falk liess sich im Herbst 1915 anwerben, bei Genfer Schwarzhändlern für die in Zürich ansässige deutsche “Allgemeine Handelsgesellschaft” kriegsbedingt geschützte Lebensmittel aufzukaufen. Im April 1916 wurde er deswegen vom Genfer Regierungsrat aus dem Territorium des Kantons Genf ausgewiesen. Als er 1919 rechtskräftig verurteilt und lebenslang des Landes verwiesen wurde, hatte er sich bereits nach Deutschland abgesetzt.

Auswanderung und Tod

Bis zur Machtergreifung der Nazis führte Falk in Stuttgart und später in Frankfurt ein Leben als Journalist. 1933 floh er in die Niederlande, wo er sich in Den Haag niederliess. Zwei Mal – das erste Mal noch aus Deutschland – erhielt er von den Schweizer Behörden die Erlaubnis, für einige Tage in die Schweiz einzureisen. Im August 1935 nahm er so am Zionisten-Kongress in Luzern teil. Ganz aufgehoben wurde die Einreisesperre hingegen nie.


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Quelle: Bundesarchiv Bern

Als die deutsche Wehrmacht im Mai 1940 Belgien, Luxemburg und die Niederlande überfiel, kehrte sich für ihn die Geschichte auf tragische Weise um. Nun wurde er vom Kollaborateur mit den deutschen Behörden zu deren Opfer. Wie drei von vier jüdischen Bewohnerinnen und Bewohner der Niederlande überlebte er die ab dem Juli 1942 einsetzende systematische Vernichtung der jüdischen Bevölkerung nicht. Er wurde verhaftet, nach Auschwitz deportiert und dort am 25. Oktober 1944, am gleichen Tag wie seine Frau, ermordet.

Quellen

  • Bundesarchiv Bern, Dossier Felix Falk
  • Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin
  • Verschiedene Zeitungen
  • Universitätsarchive Berlin, Jena, Bern, Lausanne. Genf
  • Karl Wolfskehl. Briefwechsel aus Italien 1933-1938. Hg. und kommentiert von Cornelia Blasberg, Hamburg 1993 (darin biografische Notiz zu Falk)
  • Karl Hänggi. Die deutsche Propaganda in der Schweizer Presse. Laupen/Bern 1918
  • ancestry.com