Die graue Eminenz: Shyamji Krishnavarma - 13. Mai 2022

Die anglo-indische Polizei stützt sich fast sicher auf Angaben ihres Spitzels Erwin Briess, wenn sie die fünf Mitglieder aufzählt, welche 1912 in Zürich das Komitee “Pro India” gebildet haben. Mindestens anfänglich eine wichtige Rolle dürfte darin der Exil-Inder Shyamji Krishnavarma (1857-1930) gespielt haben. Er war eine antikoloniale Leitfigur und zumindest bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs herausragender Sprecher und grosszügiger Financier des indischen Widerstandes in Europa. Mit dem Schulterschluss zwischen den indischen Antikolonialisten und dem Deutschen Reich im Herbst 1914 verlor er sehr rasch an Einfluss und Ansehen.

Leben und Weltsicht von Krishnavarma hat der Zürcher Historiker Harald Fischer-Tiné in einer umfassenden Studie aufgearbeitet. Für unsere Geschichte von Bedeutung ist Krishnavarmas Umzug von London, wohin er 1897 ins Exil gegangen war, nach Paris (Sommer 1907) und schliesslich nach Genf (Frühjahr 1914), wo er bis zu seinem Tod 1930 wohnen blieb. Während seiner Jahre in Genf war er, in den Worten Fischer-Tinés, eine fast pathetische Figur ohne Kontakte nach Indien und von der revolutionären Diaspora marginalisiert.


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Indische Briefmarke mit dem Konterfei Shyamji Krishnavarmas

Egomane und Autokrat

Seine politische Einsamkeit war teilweise seinem Verhalten geschuldet. Er galt auch bei Freunden als rechthaberisch und egoman. Sein politischer Weggefährte Lajpar Rai beschrieb ihn als vollendeten Autokraten, der keine andere Meinung als seine eigene zuliess.

Es gelang der deutschen Kriegsführung nie wirklich, ihn als Komparsen zu gewinnen – im Gegensatz zu anderen antikolonialistischen Indern, die sich teilweise zögerlich, teilweise begeistert der deutsche Kriegsmaschine unterwarfen. Krishnavarma arbeitete punktuell dem deutschen Generalkonsul Geisseler in Genf zu, der seinerseits dessen Bewegungen aufmerksam beobachtete und – streng den Dienstweg einhaltend – via die Gesandtschaft in Bern nach Berlin meldete.

Ängstliche Zurückhaltung

Am 17. November 1914 telegrafierte der deutsche Geschäftsträger Gisbert von Romberg aus Bern nach Berlin, ein gewisser Schweizer namens Edgar Brun habe sich bei Krishnavarma zum Besuch angemeldet. Krishnavarma vermute in ihm einen englischen Spion. Obwohl die Namen mit den gleichen Initialen beginnen, handelt es sich beim angemeldeten Besucher nicht um Erwin Briess. Romberg bat Brun, zuerst bei ihm vorzusprechen, und zog Erkundungen über ihn ein: Er sei Angestellter der Asiatischen Bank, sein Vater ein bekannter Professor in Zürich. Es muss sich also um den Sohn des Kunsthistorikers Carl Brun (1851-1923) handeln.

Krishnavarma spielte keine Rolle in den Intrigen um den Sprengstoff und die Waffen, die von Seiten Deutschlands an die italienischen Anarchisten in Zürich geliefert wurden und die schliesslich zum Zürcher Bombenprozess von 1919 führten. Auch in der aktiven Zeit des Zürcher Komitees “Pro India”, in den Jahren 1912 bis 1914, fällt Krishnavarma eher durch vornehme Zurückhaltung als durch Aktivismus auf. Wenn Briess seinen englischen Auftraggebern diesen Namen als Mitglied von “Pro India” meldet, so könnte dies zwei verschiedene Gründe haben: Krishnavarma war der anglo-indischen Polizei bereits bestens bekannt, zudem lebte er ab dem Frühsommer 1914 in Genf, an der rue des Vollandes im etwas gehobeneren Viertel Eaux-Vives. Beides, seine Bekanntheit und seine Genfer Adresse, könnten Briess veranlasst haben, mit der Namensnennung seine Auftraggeber zufrieden zu stellen. Oder aber Krishnavarma, der bekannt war für sein beträchtliches Vermögen, stand als einer der Geldgeber im Hintergrund von “Pro India”.

Beziehung zu Briess

Fast vier Jahre später macht die deutsche Seite einen letzten Versuch, Krishnavarma auf ihre Seite zu ziehen. Im Auftrag der Gesandtschaft in Bern spricht der Ire Gifford – der Spion in deutschen Diensten wird in den deutschen Dokumenten als “der Dicke” geführt – im Juni 1918 bei Krishnavarma vor. Vorgeblich, um mit ihm über die religiösen Pläne von Mahendra Pratap zu sprechen. Tatsächlich aber, um herauszufinden, in welcher Beziehung Krishnavarma zum kurz zuvor verhafteten Erwin Briess stehe.

Krishnavarma habe sehr ängstlich gewirkt. Er kenne Briess seit Jahren als “Sanskritisten” und sei im Übrigen von dessen Deutschfreundlichkeit überzeugt, wand sich Krishnavarma heraus. Aber die von den deutschen erwarteten Papiere – eine vollständige Sammlung von Krishnavarmas Zeitschrift The Indian Sociologist – wolle er nicht herausgeben: “Mit Krishnavarma ist absolut nichts anzufangen.”

Quellen

  • Bundesarchiv Bern, Dossier Zürcher Bombenprozess
  • Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin

Literatur

  • Ker, James Campbell (1917, 2015(2)). Political trouble in India, 1907-1917.
  • Fischer-Tiné, Harald (2014). Shyamji Krishnavarma. Sanskrit, Sociology and Anti-Imperialism. New Delhi, Milton Park